POP
C D s
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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
WINTER GAMES
Clouds Hill/Rough Trade CD
(40’)
Auch als LP erhältlich
Als Sensibelchen wie nach seinem
Debüt „Music For Tourists“ möchte
Chris Garneau nicht mehr abgetan
werden. Zu op.
3
erklärt er katego-
risch: „This record isn’t about trivial
shit!“ Was schon Titel wie „The
Whore In Yourself“ signalisieren,
unter anderem auch die Tatsache,
dass einer der Songs (wie Pete
Townshends „Tommy“) von sexuel-
lem Missbrauch durch einen Cousin
handelt. Musikalisch ist das aber
mehr heile, von Elfen und guten
Feen bewohnte Winterwunderwelt,
die in den Arrangements (sanfte
Bläser, viele Chöre, Garneau-Texte
zart hauchend) entworfen wird.
F. Sch.
MUSIK ★ ★ ★
*★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★ ___________
Linda Perhacs
THE SOUL OF ALL NATURAL THINGS
Asthmatic Kitty/Cargo CD
(42’)
Auch als LP erhältlich
Wie manche Kollegin der Folk-
Zunft blieb Linda Perhacs um die
Wende zu den
1970
er Jahren das
Eine-LP-Wunderkind - ein Ge-
heimtipp, der Jahrzehnte später
unverhofft wiederentdeckt wurde,
weil Devendra Banhart und andere
aufmerksam stöberten. Ihr lange
vergessenes einziges Album war
„Parallelograms“.
An
dessen
Natur-Mystizismus knüpft sie in
den meditativen Songs des neuen
praktisch bruchlos an. Die Stücke
trägt sie mit zartem Sopran vor, als
wollte sie den Zuhörer nach all den
Jahren ernstlich von der Existenz
einer noch unbeschädigten Natur
überzeugen.
F. Sch.
MUSIK ★ ★ ★ >-★
KLANG ★ ★ ★ ★
Buchkritik
Popkanon
Reizvolles, aber diskussionwürdiges Buch, das die
wichtigsten Alben aller Zeiten dingfest machen will
Zunächst einmal begeistert die-
ses Buch, das
1001
essenzielle
Alben der Populärmusik vorstellt
und nun in der
7
. aktualisierten
Neuauflage seit
2005
erscheint.
Der chronologische Aufbau (von
1955
bis
2013
) macht das Suchen
im Verbund mit einem Index der
Alben sowie einem Künstlerindex
komfortabel. Die Rezensionen sind
unterhaltsam und informativ, von
einzelnen Fehlern abgesehen (so
lesen wir über „Brothers In Arms“:
„Den wenigen Folgealben fehlte
die Magie“. Tatsächlich folgte nur
noch ein einziges Album). Angaben
zu Produzent, Art Direction, Natio-
nalität und Spielzeit betonen den
Servicecharakter, bei zahlreichen
CDs sind die Tracks samt Komponist
aufgelistet, und viele wunderbare
Künstler-Fotos erfreuen das Auge.
So weit, so gut.
Anlass zu Diskussionen gibt
die Auswahl und Gewichtung der
Künstler und Bands: So ist David
Bowie mit acht Alben am häufigs-
ten vertreten und damit noch vor
The Beatles (
7
), Bob Dylan (
7
) und
The Rolling Stones (
6
). Warum
taucht Brian Eno gleich fünfmal
auf, Supertramp aber nur einmal
(mit „Crime Of The Century“)? Und
warum werden gleich fünf Alben
von P. J. Harvey erwähnt, von der
rockgeschichtlich ähnlich bedeu-
tenden Patti Smith aber nur ihr
Debüt „Horses“? Besonders seit
den Nullerjahren gibt es zudem
die Tendenz, vermeintliche Hypes
gegenüber handwerklich heraus-
ragenden Künstlern zu bevorzugen.
Aber auch unter Musikkritikern
gibt es eben unterschiedliche Mei-
nungen, weshalb vermutlich auch
kein Leser zu
100
Prozent der Aus-
wahl zustimmen wird: Die einen wer-
den Jazz unterrepräsentiert finden,
die anderen Country oder andere
Genres. Ästhetische Kanonbildung
kann eben nie gänzlich objektiv
sein, wobei die
97
Autoren überwie-
The Black Tornado
TOO M ANY ROADS
Ruf/In-Akustik CD
(48’)
Auch in der Computerära der
Klangprogrammierer und Knöp-
fedrücker gibt es sie noch, jene
Musikmalocher, die alle Sounds
im Schweiße ihres Angesichts
selbst erzeugen. Thorbjorn Risager
plus
7
-Mann-Band zählen zu den
derzeit am härtesten schuftenden
Vertretern der Spezies. Die Hand-
arbeiter aus Dänemark gewinnen
die Gunst des Hörers mit livehaftig
wirkenden Songs der Gattungen
Blues, R&B und Soul, mit Fuzzgi-
tarren und Dicke-Backen-Bläsern.
Risagers Knarzstimme, die nach
vollen Aschenbechern und leeren
Bierdosen tönt, trägt ebenfalls zum
urwüchsigen Feeling bei.
hake
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ___________
Robert Dimery (Hg.): 1001 Alben -
Musik, die Sie hören sollten, bevor
das Leben vorbei ist (Edition Olms),
960 S., Preis: 29, 95 Euro
gend angelsächsischer Provenienz
insgesamt ein seriöses Gesamtpa-
ket schnüren. Von AC/DCs „Back In
Black“ über „Sgt. Pepper“ (Beatles),
„Kind Of Blue“ (Miles Davis) bis hin
zu Frank Zappas „Hot Rats“ sind
Klassiker, Bestseller und Kritiker-
lieblinge zahlreich vertreten. Aus
der heimischen Musikszene finden
wir Alben von Kraftwerk, Can, Neu!
und den Einstürzenden Neubauten
sowie - eher überraschend - Holger
Czukay, Faust, Nico, Ute Lemper und
Dagmar Krause.
Andreas Kunz
Kaiser Chiefs
EDUCATION, EDUCATION,
EDUCATION & WAR
SPV CD (auch als LP erhältlich)
(46’)
Trotz des Ausstiegs von Urmitglied
Nick Hodgson im Herbst
2012
hat
sich am Sound der Kaiser Chiefs und
der Schärfe ihrer Zeitkommentare
kaum etwas geändert. Bissig wie eh
und je singt Ricky Wilson vom Leben
im British Empire, von Rezession und
Überschuldung, von Anpassungs-
druck und Angst vorm sozialen Ab-
stieg. Die im Lande vorherrschende
Emotion der Ausweglosigkeit kon-
tert die Gruppe mit einem kämpfe-
rischen Britrock, der sich mit dem
Status quo nicht abfinden will. In den
wütenden Musikmomentaufnahmen
hier siegen Stolz und Selbstbehaup-
tung über die momentan verbreitete
No-Future-Haltung.
hake
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Flip Grater
PIGALLE
Make My Day/Indigo CD
(40’)
Clare „Flip“ Grater sieht sich selber
wohl in einer langen Tradition eher
schwermütiger Sängerinnen a la
Nico, frönt aber neuerdings mehr
der Melancholie französischer
Chanson-Vorbilder. Und hegt ge-
legentlich - wie unverkennbar im
Arrangement von „Hide And Seek“
- Sympathien für Tom Waits. Sie
habe sich mit ihrer Einsamkeit ab-
gefunden, singt sie in „Hymns“,
dankt aber im Kleingedruckten
ihrem Liebsten Youssef laskrane.
Songs wie „Diggin’ For The Devil“
oder das erotisch aufgeladene
„The Smell Of Strangers“ muss
man also nicht als autobiografi-
sches Bekenntnis nehmen.
F. Sch.
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
132 STEREO 5/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht